Okt 05 2009
Klein, kleiner, am kleinsten
Ich werfe noch einmal einen Blick in die Akte. Sieht soweit alles gut aus, nichts auffälliges. Ich schlendere den Gang hinunter, schaue nach links um die Ecke in den Wartesaal und rufe den Namen meiner nächsten Patientin auf. Ich begrüße sie, lasse sie voran in mein Büro gehen und schließe hinter ihr die Tür.
Die Frau ist in der 21. Schwangerschaftswoche und somit steht heute die 2. Ultraschall-Untersuchung an. Die Erste war bereits vor elf Wochen, wo noch eine Vaginalsonographie durchgeführt wurde. Heute wird abdominal, sprich per Bauch-Ultraschall, untersucht.
Ich frage meine Patientin, wie es ihr geht und wie sie sich fühlt und nach einem kurzen Gespräch bitte ich sie in den Nebenraum.
Noch schnell tippe ich einige Daten in mein Laptop ein, gehe anschließend rüber in den zweiten Raum, wo mich meine Patientin bereits erwartet. Ich streife mir Handschuhe über und als die Frau auf dem Rücken vor mir liegt, kann die Untersuchung beginnen.
Zuerst kommt das für Frauen so oft als unangenehm empfundene Gel auf die Bauchdecke. Dies ist nötig, da die Schallwellen des Ultraschalls durch das Gel leichter in das Innere des Körpers gelangen. Nun bewege ich den Schallkopf über den Bauch und die Frau ist ganz aus dem Häuschen als sie ihr kleines Baby sieht, wie es sich eifrig wendet und dreht. Man könnte fast meinen, es hätte uns zugewunken. Ich vermesse den Körper, das Herzchen schlägt, der Nacken entspricht der Norm und auch sonst sieht alles so aus, wie es sich für die 21. Schwangerschaftswoche gehört.
Ich bin froh, dass ich am heutigen Tag meine Arbeit niederschreibe, denn die Arbeit der Gynäkologie hat nicht nur Momente des Lichts sondern immer wieder auch der Trauer. So war es noch kürzlich, dass ich einer Schwangeren mitteilen musste, dass ihr Ungeborenes an Trisiomie 18 (Chromosom-Fehler – die bekanntestes Variante ist die Trisomie 21, das sogenannte Downsyndrom) erkrankt ist. In diesem Fall gab es leider keine Rettung und der kleine Winzling hörte bereits von sich auf zu leben. Das einzig positive daran, für mich als Ärztin und für die Patientin selbst, war dass wir nicht mehr über Leben und Tod entscheiden mussten, sondern Mutter Natur es auf seine Weise gelöst hatte. Dennoch sind es sehr traurige Momente, die einen schon etwas mitnehmen können, auch mich als mehr oder minder Außenstehende.
Zurück zu den schöneren Momenten einer Gynäkologin. Ich versuche für meine momentane Patientin rauszufinden, ob es sich denn um ein Mädchen oder einen Jungen handelt. Ich setze immer wieder den Schallkopf auf den Bauch, versuche jeden Winkel zu erfassen, doch der kleine Mensch ist geschickt und dreht uns entweder den Rücken zu oder hat die Beine über Kreuz. Dies tut mir Leid für die werdende Mutter, denn nun muss sie sich bis zur dritten Ultraschalluntersuchung gedulden. Dies wird dann um die 29. bis 32. Schwangerschaftswoche sein.
Die Frau ist dennoch überglücklich, dass alles nach Wunsch verläuft und da ist das Geschlecht nun wirklich nebensächlich. Hauptsache gesund. Vor allem da diese Patientin leider bereits 2 Fehlgeburten erleiden musste.
Nach diesem Termin steht erst einmal Mittagspause an, in der ich wie üblich mit dem Auto ins Stadtzentrum von Tübingen runter fahre und dort zu Fuß an der frischen Luft spaziere. Ich bin an der größten Frauenklinik Deutschlands, an der Eberhard Karls Universität, tätig. Hier haben wir im Schnitt 2600 Geburten pro Jahr.
Gerade in der Altstadt angekommen, klingelt mein Mobiltelefon. Die Klinik. Das war es dann wohl schon wieder mit der Mittagspause, eine Geburt bahnt sich an. Ich hole mir noch schnell was bei einem Imbiss auf die Faust und mache mich wieder zurück zu meinem Auto.
Ja, an sich bin auch ich der Umwelt zu Liebe, lieber Fahrgast im Bus, aber als Doktor muss man immer davon ausgehen, dass man in der nächsten Minute wieder zum Einsatz gerufen wird, wie gerade eben.
In der Klinik angekommen, frage ich die zwei Krankenschwestern, die bislang die hochschwangere Frau betreut haben, nach letzten Informationen. Die Periduralanästhesie ist bereits angelegt, der Wehenmesser läuft und ich begrüße Ihren Mann, der sich die Geburt ebenfalls nicht entgehen lassen will.
Wer weiss, vielleicht ist unser Erdankömmling ja wieder so ein kleiner Frechdachs wie neulich. Gerade eben erst das Licht der Welt erblickt, schon hatte er mich von oben bis unten voll gepinkelt. Alle Anwesenden im Kreissaal konnten natürlich nicht mehr vor Lachen und als der erste Schrei des Neugeborenen kam, wussten wir auch gleich, dass nicht nur die Harnwege ordentlich funktionierten.
Nun ziehe ich meinen Kittel über und dann wollen wir mal schauen, dass die werdende Mutter bald Ihr Kleines im Arm halten kann.
Jetzt heißt es pressen, tapfer sein und hoffen wir, dass uns der Ehemann nicht umkippt.
11 Kommentare
11 Kommentare zu “Klein, kleiner, am kleinsten”
Träumst Du manchmal davon, Frauenarzt zu sein? Das wollte ich als Kind immer werden. Doch mittlerweile hab ich auch andere Hobbys.
Jedenfalls kann man sich schön hineinversetzen. Schöne Story.
Schön…erinnert mich an meinen beruflichen Alltag ;)
Und jedes Baby das man im Arm hält ist ein kleines Wunder das sprachlos macht… So stressig kann der Tag auf der Entbindungsstation gar nicht sein.
Übrigens solange der werdende Papa nicht umkippt und das Ganze CTG mitreisst inklusive Kabelsalat ist es noch ok, den kriegt man wieder hin *gg*
Aktueller Stand auf Wikio…
Vorgestern gab es wie jeden Monat eine Aktualisierung bei Wikio.de im Blogranking. Im Gegensatz zu meinen vorherigen Artikeln möchte ich heute nachdem meine Serie nun schon einige Zeit läuft, bei 5 Blogs ein Zwischen Resümee ziehen. …
…
Hey Ihr 3,
– plerzelwupp, davon träumen Frauenarzt zu sein? Zitat: „Ich bin an der größten Frauenklinik Deutschlands, an der Eberhard Karls Universität, tätig.“ Ich träume nicht, ich tue es! :)
– Arven, freut mich dass es dich an deinen beruflichen Alltag erinnert. Hebamme? :)
Ja, jedes kleine Wesen das das Licht der Welt erblickt ist in der Tat ein Wunder. Und wegen des umkippenden Papas, herrlich beschrieben und so wahr.
– ZenToDone, danke für die Erwähnung meines Blogs samt Soap.
Wünsche Euch allen einen angenehmen Mittwoch.
@ Alex
Zu deiner Frage, Ja ich bin Storchentante inklusive Stillberatung, GVK, Akkupunktur und co. ;)
Frage an dich, du bist Gyn?
Zu deiner Frage: ich bin immer das, was ich gerade als Beruf darstelle! :)
Eine Frage meinerseits: hättest du Interesse an einem Gastbeitrag als „Die Hebamme“? :D
-lach- Ich bin immer das was ich gerade als Beruf darstelle… Klingt gut.
Ein Gastbeitrag klingt gut, was genau stellst du dir vor? Berufsalltag, Empfinden, kleine Anekdoten oder den Beruf an und für sich vorstellen?
Freut mich, dass meine Erklärung gefällt. ;)
Und zum Gastbeitrag, da werde ich dir mal eine Mail schicken.
Angenehmen Donnerstag & bis bald!
Mach das, Gerne, ich freu mich!
Auch Dir einen schönen Donnerstag – vor allem Stressfrei ;)
Dann hab ich das wohl falsch verstanden – da der Artikel unter „Soap“ abgelegt war, dachte ich, es handle sich um eine frei erfundene Geschichte; einen anderen deiner Artikel hab ich gestern gelesen, da warst Du Flugbegleiterin(?)
Nun – so kann man(n) sich täuschen. Bei Arven dachte ich auch, sie wäre ein Mann. Doch nun stellte ich fest, dass die beliebte Gastschreiberin „Michaela“ heißt, was doch sehr untypisch für einen Mann ist ;-)
Hey plerzelwupp,
so viel zu Soap und Wirklichkeit:
Ich bin immer das, was ich gerade als Beruf darstelle! ;)
Und zu „Michaela“, da muss ich dir zustimmen. Doch sehr untypisch für die männliche Spezies, aber schaut mal hier:
http://www.express.de/nachrichten/news/vermischtes/koennten-sie-diesen-mann-charlotte-nennen_artikel_1253811594050.html